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Ein Spiel als Überlebensprinzip

von Konstantin Kirchschlager

Die Schachnovelle wurde von 1938 bis 1941 von Stefan Zweig verfasst. Sie handelt von einem Schachspiel auf einer Kreuzfahrt, bei der die gegeneinander antretenden Personen im Mittelpunkt stehen.

Einer dieser beiden ist der Schachweltmeister Mirko Czentovic. Er verliert bei einem Unfall seinen Vater und wächst in Pflege bei einem Pfarrer auf. Der Charakter des Jungen wird als einfältig, ohne Interesse an der Außenwelt beschrieben. Durch einen Zufall entdeckt man sein besonderes Talent für das Schachspiel. Schließlich gelangt er an einen Agenten, der ihn fördert und seine Karriere kommt in Gang. Was den Schachspieler kennzeichnet, ist die Tatsache, dass er keine imaginäre Kraft besitzt und sich das Schachspiel nicht im Geist vorstellen kann. Er ist ein handwerklicher Spieler, der ein Taschenschach immer bei sich trägt. Weil der Ich-Erzähler, der selbst Teil der Geschichte ist, Genaueres über ihn erfahren möchte, versucht er durch ein Schachspiel mit dem Geschäftsmann McConnor Czentovics Aufmerksamkeit zu erlangen und so mit ihm ins Gespräch zu kommen. Das gelingt nicht, aber dadurch, dass McConnor von ihm erfährt ,welche Berühmtheit sich auf dem Schiff befindet, ist er erpicht darauf eine Partie gegen diesen Meister seines Fachs zu spielen und verabredet gegen Bezahlung eine Partie für den nächsten Tag. Bei dieser spielen die auf dem Schiff anwesenden Amateurspieler gemeinsam gegen den Schachweltmeister. Sie haben keine Chance gegen diesen zu gewinnen. Die erste Partie verlieren sie sehr schnell, der ehrgeizige McConnor will das aber nicht auf sich sitzen lassen und fordert eine Revanche. Czentovic nimmt diese an und liegt auch bei dieser in Führung bis zu dem Zeitpunkt, als ein weiterer Passagier des Schiffes zu ihnen stößt und den Herren Anweisungen gibt, wie sie die Partie zu Ende spielen sollen. Mit seiner Hilfe gelingt es ihnen ein Remis zu erreichen. Czentovic fordert nach Ende der Partie diesen Herr zu einer weiteren Partie auf. Dieser lehnt jedoch ab und verweist darauf, dass er seit über 20 Jahren kein Schach mehr gespielt habe. McConnor beharrt aber darauf, dass er diese Einladung annimmt, und schickt den Ich-Erzähler los, den Unbekannten aufzusuchen und ihn dazu zu bewegen die Partie anzutreten. In diesem Gespräch erfährt man mehr zum unbekannten Dr. B.

Er war Rechtsanwalt in Wien und vertrat in der königlich-kaiserlichen Monarchie die Vermögensverwaltung der Klöster und Mitglieder der kaiserlichen Familie. Als es zur Besetzung Österreichs durch die Nationalsozialisten kam, wurde er verhaftet, um von ihm zu erfahren, wo sich das Vermögen dieser befindet. Dr. B. schweigt beharrlich, er kommt in Einzelhaft. Dort erfährt er keine körperliche Misshandlung wie andere KZ-Häftlinge, sondern eine subtile Folterung durch Isolierung. Er hat in seiner Zelle keine Möglichkeit der Beschäftigung, keine Ansprache. Er befindet sich im "Nichts", zeitlos, raumlos. Diese Form der Inhaftierung ist psychische Folter. In methodischen Verhören wird er immer wieder befragt mit der Absicht ihn mürbe zu machen. Eines Tages gelingt es ihm ein Buch zu stehlen. Mit großer Erwartung an das Buch folgt die Enttäuschung. Es handelt sich um ein Schachrepetitorium, ein Buch, das Schachzüge von Meisterpartien beschreibt. In seiner Hilflosigkeit und nach Zeiten der Enttäuschung beginnt er jedoch sich intensiv damit zu beschäftigen. Er nutzt die bescheidenen Möglichkeiten seiner Zelle, um ein Schachspiel nachzustellen. Eine karierte Bettdecke dient als Schachbrett, aus Brotkrümeln bildet der Figuren, mit Staub färbt er diese ein. Mit der Zeit spielt er Züge blind nach. Dadurch gewinnt er an Selbstvertrauen und Konzentration und kann somit die Verhöre überstehen. Nach einiger Zeit hat er alle Partien durchgespielt und beherrschte sie auswendig. Er beginnt gegen sich selbst zu spielen, verliert sich immer mehr im Spiel mit imaginären Gegner und wird nervenkrank. Es kommt zur Einlieferung in ein Hospital. Dort hat er Glück und trifft auf einen Arzt, der ihm eine erneute Einlieferung erspart. Durch eine neue politische Situation verliert sich das Interesse an ihm. Dr. B. hat die Möglichkeit Österreich zu verlassen und geht nach New York ins Exil. Von dort aus betritt er den Dampfer.

Auf der Schiffsreise kommt es schließlich zur Begegnung mit Czentovic. Nach anfänglichem Zögern lässt er sich auf eine Schachpartie mit ihm ein. Die erste Partie wird von ihm gewonnen. In der weiteren Partie, im Spielrausch gefangen, die weiteren Züge imaginär schon gespielt, macht er einen falschen Zug und bricht die Partie ab, da er sich in Gefahr sieht, wieder in seinen Wahn zu fallen. Er verspricht sich nie wieder ein Schachbrett anzurühren.

Nach anfänglicher Skepsis, dass das Buch wieder ein nicht zeitgemäßer Klassiker, der schwer zu lesen ist, ist, muss ich sagen, dass ich positiv überrascht bin. Die Sprache ist gehoben, aber klar und gut verständlich. Die 110 Seiten waren kurzweilig und angenehm zu lesen.

Hintergrund zum Genre Novelle

Wie bereits der Buchtitel vorwegnimmt, handelt es sich in Zweigs Werk um eine Novelle.
Das Genre Novelle entstand in Italien zur Zeit der Renaissance. Die Bezeichnung entstammt dem italienischen Wort „novella“ und bedeutet Neuigkeit. Ein neues, außergewöhnliches Ereignis wird darin erzählt. Sie ist in ungebundener Sprache verfasst und der literarischen Gattung Epik zugeordnet. Dieses Genre gilt als Wegbereiter der realistischen Literatur.

Nahezu im Berichtstil erzählt der Autor einfach und objektiv, ohne zu kommentieren. Seine Darstellung ist dicht und im geradlinigen Handlungsverlauf auf das Ziel führend. Die geringe Anzahl und die zwei Protagonisten sind eindeutig und durchlaufen in der Erzählung keine Entwicklung, wie man an Dr. B und Czentovic erkennen kann. Der Wendepunkt der Geschichte tritt ein ,als Dr. B in die Schachpartie zwischen Czentovic und den Amateuren eingreift und diese somit zum Remis führt.

Die Reise auf dem Passagierschiff bildet die Rahmenhandlung, die Vorstellungen der Personen jeweils die Binnenhandlung. Das Leitmotiv ist das Schachspiel. Es stellt als Dingsymbol sinnbildlich den Konflikt zwischen dem europäischen Kulturmenschen und dem Faschismus dar.

Zweigs Novelle entstammt der Literatur, die während der Zeit des Nationalsozialismus entstanden ist. Das Buch gibt Einsicht ins Zeitgeschehen. Österreich wurde von den Nationalsozialisten besetzt und es folgten willkürliche Festnahmen und Folterungen. Die Isolationshaft des Dr. B. wird von Zweig sehr anschaulich und detailliert beschrieben und der Leser kann die Grausamkeit dieser Form der Folter gut nachvollziehen.